Mit Lea 1-2/07/2018
Vorwort: Eigens für die Besteigung des Crast'Agüzza hätten wir die Reise ins Engadin wohl nicht gemacht - bestimmt aber wären wir dafür nicht zum Bivacco Parravicini aufgestiegen. Nein, eigentlich wäre der Sellagrat auf dem Piz Roseg geplant gewesen, aber wie so oft richtete sich das Wetter nicht nach unseren Plänen. Die Überschreitung des Crast' Agüzza wurde somit zur adhoc Ersatztour, und wenn natürlich punkto Schwierigkeit nicht mit dem Sellagrat zu vergleichen, so bot die Tour (auch wegen unserer sehr improvisierten Planung) ein paar nette Herausforderungen und schöne Eindrücke.
Zustieg zum Biwak: Nach einigem hin und her inklusive Missverständnissen können wir beim Campingplatz in Silvaplana noch eine (viel zu grosse) Gaskartusche für unseren Kocher besorgen und gondeln dann mit der Corvatschbahn zur Mittelstation Murtèl von wo wir kurz nach 12 Uhr gemütlich zur Chamanna Coaz losziehen. Nach kurzer Pause machen wir uns daran, einen Weg durch den zunehmend zerklüftet werdenden Vadret da la Sella zu suchen. Der Schnee ist weich, und mehrmals landet ein Bein in einer Spalte. Unterhalb der Dschimels auf rund 3100 m müssen wir zum Teil ordentlich steil um und über Spalten klettern, und weiter oben ziemliche Umwege auf uns nehmen. Ab 3200 m werden die Spalten endlich weniger und kleiner, so dass uns nur noch der tiefe Schnee am zügigen Vorwärtskommen hindert. Der Abstieg von der Fuorcla da la Sella geht dann leicht, und um 6 Uhr erreichen wir das an exklusiver Lage stehende Bivacco Parravicini.
Das Biwak ist klein und äusserst spärlich eingerichtet. Neben ein paar sehr verbeulten und schmutzigen Töpfen gibts einen Löffel und eine stiellose Gabel als eiziges Besteck. Immerhin finden wir zwei Thermosflaschen, mit denen wir in etwa 15 Minuten Gehdistanz unterhalb des Biwaks Wasser holen. Gesägt mit Nudelsuppe und Reiseintopf verkriechen wir uns bald in den Hängebetten.
Crast'Agüzza Überschreitung: Um halb 5 machen wir uns auf den Weg zum Sellagrat, überprüfen aber vor dem Einstieg nochmals den Wetterradar. Dieser sagt für 14:00 erste Gewitterzellen voraus - etwas früh für eine selten begangene, mit S+ bewertete Tour, für die 7-11h zum Gipfel budgetiert sind... Wir besprechen kurz die Alternativen und entschieden uns dann, stattdessen den Crast'Agüzza zu überschreiten und von dort zur Diavolezza oder ins Morteratsch abzusteigen. Die Tour hatte ich vor 2 Jahren mal flüchtig im Führer angeschaut und nur noch in Erinnerung, dass sie ca. mit ZS bewertet ist - werden wir schon finden, denken wir. So steigen wir auf den Vadretta di Scerscen Superiore ab und queren diesen, bevor wir immer steiler zur Fuorcla Crast'Agüzza aufsteigen. Auch wenn man sich hier durchaus vor Spalten in acht nehmen muss, ist es noch möglich, rechts unter den Felsen des Crast'Agüzza aufzusteigen, statt den Weg links über den Klettersteig zu gehen.
Von der Fuorcla steigen wir intuitiv leicht nach rechts haltend die Flanke hoch, bis wir auf Fels und Geröllbänder stossen. Tatsächlich finden wir hier auch Steinmännchen und Wegspuren, die allerdings meist noch gut unter dem Schnee versteckt sind. Diesen folgend gelangen wir auf den Südwestgrat und klettern in schönem, festen Fels aufwärts. Im unteren Teil treffen wir wegen den noch recht winterlichen Verhältnissen auf ein paar nicht ganz triviale Mixedpassagen, weiter oben ist der Fels dann trocken, genussvoll zu klettern, und bis auf eine kurze Stelle höchstens im 2. Grad. So erreichen wir kurz vor 10 Uhr den Gipfel, von welchem wir ausgiebig die Aussicht geniessen.
Im Gipfelbuch lesen wir "sehr viele lose Steine"... Da wir bisher auf wenige solche gestossen sind, müssen sich diese auf dem Nordostgrat befinden, über welchen wir nun abzusteigen gedenken. Und so ist es - der Nordostgrat hat längst nicht die selbe Felsqualität wie der Südwestgrat, zudem sind die Kletterstellen hier deutlich schwieriger. Folglich hätte es sicher mehr Sinn gemacht, die Überschreitung andersrum, also über den Nordostgrat auf und über den Südwestgrat abzusteigen. Aber von Westen her kommend hätten wir so einen Loop zurücklegen müssen - zudem wussten wir ja eigentlich gar nichts über die Tour.
Wir seilen in den zwei steilsten Passagen ab und steigen am Ende des Grates über die sehr brüchige Südostrampe auf den steilen Gletscher. Im Blankeis geht es hier vorsichtig rückwärts hinunter auf dem zunehmend flacher werdenden Gletscher, wo wir auf die Spur treffen, die zur Bellavistaterrasse hinaufführt. Nach einer ausgiebigen Pause steigen wir über teils schon recht dünne Schneebrücken und unter Seracs auf und anschliessend wieder ab zum Fortezzagrat. Diesen kenne ich ich gut - so weiss ich, dass abseilen nur ganz zum Schluss notwendig ist.
Wegen dem sehr tiefen Schnee etwas mühsam aber sonst problemlos erreichen wir die Gemsfreiheit, und von da über Schneebänder den Vadret Pers. Hier müssen wir wiederum ein paar Spalten umgehen, können dann aber bald das Seil verstauen. Es bleibt noch der Gegenanstieg zur Diavolezza, wo ein kühles Bier ruft. Leider wartet das letzte Postauto die Ankunft unserer Gondel nicht ab. Per Autostop gelangen wir aber schnell nach Pontresina und von per Bus nach Surlej, wo mein Auto steht. In der Station Pontresina werden die Speicher dann mit riesigen, leckeren Pizzas gefüllt. Und der Sellagrat läuft ja nicht weg...
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