Mit Holmger 20/08/21
Der Tag beginnt denkbar schlecht: Um den Akku meines Handy's vor der Kälte zu schützen, habe ich dieses über Nacht in meiner Jackentasche verstaut – mit der Folge, dass ich den Wecker nicht höre... Dank schlechtem Schlaf in den frühen Morgenstunden schaue ich zum Glück kurz nach fünf auf die Uhr und schrecke hoch! Schnell kochen wir Wasser fürs Frühstück und machen uns zur Tour bereit - mit der leisen Sorge, dass wir aufgrund unseres verspäteten Aufbruchs im Verlauf der Tour mit heikel-weichem Schnee konfrontiert werden könnten.
Als wir kurz vor sechs von unserem Zelt im Cirque Maudit losziehen, sehen wir weit oben auf dem Grat die Stirnlampen einer vorausgehenden Seilschaft – sonst scheint niemand auf der Route unterwegs zu sein, im Gegensatz zum Grand Capucin, wo schon Hochbetrieb herrscht! Zu beiden möglichen Aufstiegscouloirs auf den Kuffnergrat führen tiefe Spuren, die vermutlich von den Tagen nach dem Neuschnee her rühren, denn aktuell ist die Schneedecke frühmorgens jeweils hart gefroren. Das rechte Couloir sieht deutlich besser aus; das linke wird momentan wohl nur als Zugang zum Bivouac de la Fourche benutzt und erfordert nicht ganz so einfach aussehende Kletterei im gemischten Gelände. Folglich ziehen wir auf das rechte Couloir zu – frische, im harten Firn kaum sichtbare Spuren bestärken uns in der Wahl.
Den Spuren folgend können wir den Bergschrund an seinem rechten Rand einfach überschreiten, der Rest des Couloirs ist dank perfektem Trittfirn und guter Spur ebenfalls sehr entspannt – nur ein-, zweimal erfordern eisige Passagen und mit Wassereis überzogene Felsen etwas Vorsicht. Wir haben Spass und kommen gut voran, auch wenn das Tempo für meine von den Vortagen noch müden Beine etwas an der Grenze liegt.
Auch auch dem Grat herrschen perfekte Firnverhältnisse. Nach ein paar Metern gelangen wir in etwas brüchiges Gelände; Gehpassagen und leichte (mixed)-Kletterei wechseln sich ab.
Wir verkürzen das Seil – auch wenn Sichern hier nicht nötig ist, bleiben wir angeseilt, da wir nicht wissen, wie schnell sich das wieder ändern wird und wir keine Zeit für unnötige Seilmanöver verschwenden wollen. Hier gehen wir kurz ein paar Meter falsch, bemerken den Irrtum aber sofort. Dank den vorhandenen Spuren bleibt das heute unser einziger Verhauer – ohne diese und ohne Routenkenntnisse ist die Wegfindung aber wohl nicht immer ganz einfach. Der Fels wird je länger je stabiler und bietet unschwere jedoch anregende Kraxelei, unterbrochen von mit Schnee und Eis gefüllten Couloirs sowie Firnhängen und -gräten. Auch bei diesen perfekten Verhältnissen sind wir froh um zwei Eisgeräte – wenngleich nicht unbedingt nötig, so gestalten sie die Tour doch wesentlich kraftsparender. Es lohnt sich auch, Materialkarabiner für die Eisgeräte am Gurt zu haben, denn oft muss innerhalb weniger Meter von Fels auf Eis/Schnee gewechselt werden.
Wir gelangen über einen steilen Firnhang zum exponierten Grat, welcher an die Pointe d'Androsace führt, einen steilen Turm, den man südlich umgeht. Vor dieser Umgehung verlängern das Seil wieder, um Zwischensicherungen legend simultan kletternd zu können. Dank der Spur ist hier weder die Wegfindung noch das Abklettern ein Problem und unser 30 m Seil reicht völlig aus, auch wenn wir den ersten Teil so nicht sichern können. Bei Vereisung oder Neu-/Nassschnee kann diese Passage aber schnell ein Eiertanz werden und viel Zeit in Anspruch nehmen.
So erreichen wir die nominelle Schlüsselstelle (4b), für welche wir kurz auf Standplatzsicherung wechseln. Es handelt sich hier um einen kurzen, schlecht zu greifenden Riss - im Grunde genommen sind es 1-2 kräftige Züge, bis man das Fixseil erreicht, an welchem man nochmals kurz ziehen muss (ja, meine Freikletterambitionen sind auf Hochtouren verschwindet klein...). Dank schmalen aber positiven Leisten für beide Füsse ist die Stelle mit Steigeisen mindestens so gut zu klettern wie ohne. Im Anschluss führen uns 10-15 m nicht allzu schwere Mixedkletterei wieder auf die Gratkante zurück. Hier hätte es einen Abseilstand, um in die darauf folgende Scharte abzuseilen – bei unseren Bedingungen geht abklettern aber problemlos.
Nun wechseln sich leichte Felsen und Firn ab, bis man rechts um die Gratkante biegt und ein ziemlich steiles Couloir in gemischtem Gelände erklimmen muss, welches sich aber mit Cams, Eischrauben und Schlingen recht gut sichern lässt. Oben grinsen wir uns breit an und sind uns einig – das war eine der besten Stellen die wir bisher auf Hochtour geklettert sind!!
Wieder wechseln sich Schnee, Eis, Fels und gemischtes Gelände ab und wir gehen weiterhin simultan, mit Cams, Eischrauben und Schlingen sichernd. Der Schnee wird nun um 9:00 doch allmählich etwas weich und tief. Dies bleibt aber die einzige Stelle wo das so ist, später sind die Schneeflanken eigentlich immer nordexponiert und dadurch kein bisschen angetaut. Bei höheren Temperaturen, früher im Jahr oder wenn man langsamer unterwegs ist, müsste man aber definitiv früher starten als wir das getan haben. Ein kurzer, blockiger Felsaufschwung bringt uns in lässiger Kraxelei zu einen Standplatz auf dem Grat, der uns über einen weiteren Firnabschnitt zum letzten, auf den Vorgipfel führenden Felsriegel leitet.
Der Felsaufschwung besteht aus relativ steilem jedoch einfachem Mixedgelände, dann steigen wir über die Schneekuppe des Vorgipfels hinunter in den Sattel, bevor der strenge aber dank super Trittfirn und Spuren einfache Schlussaufstieg zur Gratkante beginnt. Von dort ist es nicht mehr weit, und wir erreichen um 11:00 über einfache Felsen den Gipfel des Mont Maudit. Die Freude ist gross, denn nach einigen schönen Kletterrouten hatte eine richtige Hochtour wie diese genau noch gefehlt, um unsere Ferien perfekt zu machen!
Wir fühlen uns noch fit, haben Zeit, die Bedingungen sind gut, das Wetter stabil. So beschliessen wir kurzerhand, noch bis zum Mont Blanc weiter zu gehen. Nach einer Pause steigen wir in der Nähe des Felsgrates über die steile und etwas blanke aber griffige Südwestflanke in den Sattel ab, wo wir nochmals ausgiebig Pause machen, bevor wir dann der breitausgetretenen Spur des Normalwegs zum Col de la Brenva folgen. Hier deponieren wir einen Rucksack mit nicht benötigtem Material und erklimmen die steile Mur de la Côte. Einige Tritte sind recht gross und wir merken nun doch eine gewisse Müdigkeit. Alles in allem rückt der Gipfel des Mont Maudit aber eigentlich recht schnell von uns weg.
Die Spur ist ja meist auch super ausgetreten und könnte kaum leichter zu gehen sein. Am steilen Schlusshang zieht sie in vielen Kehren hinauf und sorgt für einen sanften Anstieg. Nur ab und zu ist der Schnee lose und tief, was mir dann aber auch gleich die Milchsäure in die Beine treibt. Die vorhergehenden Touren und das Schleppen der Hälfte meines Körpergewichts am Vortag und vielleicht auch die Höhe lassen uns am Schluss doch etwas beissen. Aufgrund der Weitläufigkeit des Berges und weil das GPS meiner Uhr ausgestiegen ist, kann die verbleibende Distanz schlecht abschätzen, doch frischer Südwind lässt mich ahnen, dass wir bald da sind. Plötzlich wird es irgendwie noch weisser (das muss ja dann der Mont Blanc sein, denke ich) und dann geht es auf keiner Seite mehr aufwärts. Erst bis ich fast mehr erleichtert als erfreut, das hat nun doch noch etwas gekostet, doch ich erhole mich schnell und freue mich darüber, auf dem höchsten Berg der Alpen zu stehen, obwohl das eigentlich gar kein besonders Ziel von mir war.
Wegen Wind und Höhe ist es ziemlich frisch und die Rast fällt nicht allzu lang aus. So machen wir uns kurz vor 14:00 an den Abstieg, welcher wie auch die Gegensteigung zum Col du Mont Maudit geschmeidig vorangeht. Oben am Col du Mont Maudit aber erschrecke ich kurz: steil geht es hier runter! Schon etwas müde wählen wir die eingerichtete Abseilpiste, statt auf der Aufstiegsspur den exponierten Hang rückwärts runter zu klettern. Das 30 m Seil reicht gerade so (mehr schlecht als recht) um in 2x abseilen zur fix installierten (und sehr dünnen) Rapline zu gelangen, mithilfe deren wir den Bergschrund überwinden können. Weiterhin ziemlich steil steigen wir zum Col Maudit ab, wobei nochmals ein kleiner Schrund mithilfe eines Fixseils überklettert wird. Alles in allem problemlos, aber ich muss zugeben: den Normalweg hatte ich mir etwas unkomplizierter vorgestellt...
Der Gegenanstieg zur Épaule du Mont Blanc du Tacul fällt uns dann leichter als erwartet und der Abstieg zum Col du Midi ist ebenfalls unkompliziert, auch wenn man doch bis am Schluss konzentriert bleiben muss. Unten kippen wir die letzten Tropfen unserer Trinkflaschen in die durstigen Kehlen und machen uns dann auf den Weg zum Zelt. An der Pointe Lachenal vorbei ist der Schnee tief und sehr anstrengend zu gehen, das wird dann aber zum Glück wieder besser. Gut ist auch, dass wir am Vortag während der Fahrt mit der Panoramabahn denn besten Weg durch den spaltenreichen Gletscher geplant haben. Nahe der Pointe Adolphe Rey gelangen wir so in ziemlich direktem Weg zum Zelt, welches wir um 18:30 erreichen, während die Sonne den Gletscherkessel verlässt. Jetzt heisst es nur noch, genügend Schnee zum Kochen ins Vorzelt zu schaufeln, dann kriechen wir zufrieden in die dicken Schlafsäcke und feiern mit Bier und Tütenfutter den perfekten Abschluss einer erlebnisreichen Ferienwoche.
Gipfel: |
Mont Maudit, Mont Blanc |
Route: | Kuffnergrat |
Ausgangspunkt: | Biwakplatz Cirque Maudit, alternativ Rifugio Torino oder Bivouac de la Fourche |
Höhe: | 4465 m, 4810 m |
Schwierigkeit: | ZS+, 4b, 55° |
Material:
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mind. 30 m Seil, Cams 0.3-1, evtl. Keile, Schlingen, 6-8 Exen, 2 Eisgeräte, je nach Verhältnissen 2-6 Eisschrauben |
Karte/Führer: |
Hochtouren Westalpen Band 2 (Rother Verlag) oder Chamonix (Rockfax) |