Mit Philipp 11/08/2021
Begeistert von der letztjährigen Tour über den Blanchetgrat aufs Lötschentaler Breithorn wollen Philipp und ich dieses Jahr den Nesthorn Südgrat angehen, bei dem wir uns ähnliche Felsqualität und Abgeschiedenheit erhoffen. Beides muss man sich allerdings erst mit einem längeren Anmarsch durchs Baltschieder- oder Gredetschtal verdienen. Wir entscheiden uns für letzteres und wandern mittags vom überraschend grossen Parkplatz bei Zienshischinu in Mund los. Erst durch den Tunnel, dann auf gutem Strässchen geht es trotz schweren, mit Biwakausrüstung und Klettermaterial vollgestopften Säcken zügig voran. Das gelegentliche Überqueren von für die Jahreszeit noch riesigen Lawinenkegeln und die grosse Herde Schottlandrinder und Eringerkühe bieten Abwechslung. Ab 2000 m wird es dann zunehmend steiler und wegloser. Über Grasshänge, Geröll und Runsen finden wir aber einen ziemlich direkten Weg zur Genderflüo (ca. 3000 m), wo wir ein gutes Biwakplätzchen finden. Ein tiefer gelegenes Biwak hätte zwar das Schleppen etwas verkürzt, jedoch den Nachteil, den Weg hierher im Dunkeln suchen zu müssen. Zudem würde die Tour eh schon lang werden, da halten wir es für besser, sie gleichmässiger aufzuteilen.
Wir richten uns ein, holen Wasser an den nahegelegenen Bächen, "kochen" Tütenfutter und legen uns früh in die Schlafsäcke. Ich schlafe recht gut, bis ich um 4:00 von einem ursprünglich nicht angekündigten Regenschauer geweckt werde und mir meinen Biwaksack überziehe. Schuhe und Rucksack habe ich zum Glück schon umgedreht hingelegt. Als wir um 5:00 aufstehen ist alles etwas feucht, der Regen aber zum Glück weitergezogen, und nach einem zügigrn Frühstück gehen wir los in Richtung Einstieg.
Der Zustieg ist leicht zu finden, allerdings beginnt es nun plötzlich wieder zu regnen, und als ich ihn nicht mehr länger ignorieren kann, spüre ich die Wut in mir aufsteigen: Nach 2 Wochen Ferien mit Wetter, das keine richtige Hochtour zuliess hatte ich mir in einer arbeitsreichen Woche 2 Tage mit vermeintlich gutem Wetter freigeschaufelt, um doch noch etwas unternehmen zu können - und jetzt das!
Wir beschliessen, doch mal zum Einstieg zu gehen, lassen uns dafür aber Zeit.
Da die Felsen einigermassen trocken sind, klettern wir um viertel nach 7 los. Die 3 ersten Seillängen, die den Vorbau ausmachen, sind für den Grad nicht geschenkt, insbesondere die letzte 5b-Länge ist ziemlich knifflig, und ich bin nicht unglücklich darüber, dass sie Philipp zufällt. Wegen der Feuchtigkeit, um nach der Verzögerung schneller vorwärts zu kommen sowie wegen meiner nach einer Verstauchung noch angeschlagenen Schulter klettern wir mit Kletterschuhen. Hier im Vorbau gibt es nach jeder Länge einen Standplatz, man könnte also auch wieder abseilen, was später nicht mehr der Fall ist. Der graue und etwas brüchige Fels hat eher wenig Reibung und gefällt mir noch nicht besonders.
Dies ändert sich dann aber, als wir nach etwas Gehgelände den 2. Teil des Grates erreichen - der rötlich-orange Fels ist griffig, stabil und lädt zum Klettern ein. Auch hier ist der Einstieg wieder offensichtlich. Ich freue mich über die Kletterei, die sich meist recht anhaltend im 5. Grad abspielt. Immer wieder können Sicherungen gelegt werden, es muss aber auch öfters mal einige Meter ohne geklettert werden, da der Fels teilweise sehr geschlossen ist. Wie immer wechseln Philipp und ich uns mit dem Vorstieg ab und wir kommen gut voran - bis uns ein erneuter Schauer einholt - diesmal aufgrund der Höhe in Form von Graupel!
Wir ziehen die Jacken über und harren aus. Umdrehen wäre nun schon ziemlich kompliziert und langwierig geworden. Um nicht völlig auszukühlen klettere ich irgendwann wieder los, obschon die Felsen noch feucht sind und auf den Tritten Graupel liegt. Mit eiskalten Finger brauche ich ewig, bis ich die Seillänge geschafft habe, doch anschliessend geht es wieder flüssiger weiter, der Wind trocknet die Felsen schnell ab und es wird dank Sonne auch zunehmend wärmer. Trotzdem klettere ich einen Grossteil des Grates in 2 Daunenjacken, und wir verlieren aufgrund der Bedingungen und Wartezeiten einiges an Zeit.
Nach dem zweiten Mal abklettern kommen wir zu einem Turm, der definitiv zu schwer aussieht für den angegebenen Schwierigkeitsgrad. So umgehen wir ihn wie im Topo beschrieben in leichtem aber teilweise brüchigen Gelände, wofür wir das Seil vorübergehend im Rücksack verstauen, da es höchstens Steine gelöst hätte ohne Sicherheit zu bieten. Wieder auf dem Grat angekommen, klettern wir gesichert weiter. Die Kletterei ist jetzt einfacher, jedoch kommt sie uns für II-III doch recht anspruchsvoll vor und der Grat zieht sich in die Länge. Die Wetterkapriolen haben uns auch etwas zermürbt und wir sind nicht mehr so schnell unterwegs.
So sind wir froh, als der Grat in Blockgelände übergeht. Wir verstauen das Seil wieder und ziehen in gemischtem Gelände nach links (Nordwesten), um nach einem steilen und schon ziemlich weichen Schneehang die Gipfelwechte an geeigneter Stelle überwinden zu können. Auf dem breiten Gipfelhang angekommen ist dann das Gipfelkreuz plötzlich nicht mehr weit, und wegen der Spaltengefahr wieder am Seil stapfen wir hinauf. Aufgrund des Wetters haben wir ziemlich lang gebraucht und es ist schon halb vier, was aber an diesem Tag nicht weiter dramatisch ist.
Nach Aussicht geniessen und Verpflegung steigen wir frischen Spuren folgend über den Normalweg ab, wobei wir in der steilen und teilweise blanken Firnflanke mit Schrauben sichern. Es folgt kurze und unschwere, aber im müden Zustand schon etwas nervige Gratkletterei bis zum Gredetschjoch, wo wir wie schon nach dem Blanchetgrat reibungslos auf den Gredetschgletscher abseilen (ein Beispiel einer hervorragend eingerichteten Abseilpiste, bei der trotz übelst brüchigen Gelände weder Seil noch Mensch von Steinen getroffen wird - danke an die Einrichter!)
Wir sind dankbar für die Spuren, die uns über den Gletscher in Richtung unserer Zustiegsroute führen, über welche wir dann den Biwakplatz erreichen. Hier packen wir die halbwegs trockenen Sachen ein, bevor wir uns an den langen Abstieg machen. Irgendwann wird es dunkel und die letzten Kilometer ziehen sich. Im Tunnel sagt keiner mehr ein Wort, fast beklemmend hallen unsere Schritte während das Wasser in der Pipeline gurgelt. Schliesslich erreichen wir das Auto - was für eine Tour!
Gipfel: | Nesthorn |
Route: | Südgrat |
Ausgangspunkt: | Biwakplätze im Gredetschtal, alternativ Baltschiederklause |
Höhe: | 3820 m |
Schwierigkeit: | S, 5b |
Karte/Führer: |
Topoführer Berner Alpen; weitere nützliche Infos auch hier und hier |
Material:
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30 m Seil, Cams 0.3-1 (evtl. 2), kleine Keile oder Wallnuts, Schlingen, 6-8 (lange) Exen, Gletscherausrüstung, gegebenenfalls zusätzliche Eisschrauben |