Mit Matthias 24/08/16
Dass wir bei diesem warmen und stabilen Wetter nicht allein sein würden war uns schon bewusst. Trotzdem hatten wir gehofft, dass jetzt - unter der Woche und nach der Hauptferienzeit - nicht ganz so viel los sein würde... Nach einem gemütlichen und sehr schönen Zustieg zur Sasc Furähütte - mit noch etwas müden Beinen von der Tour zur Cima Sondrio am Vortrag - schlägt die Stimmung beim Erreichen der Hütte sofort um: musternde Blicke wandern zwischen den schon anwesenden und neu ankommenden Seilschaften hin und her, Topos werden studiert und verglichen, Material demonstrativ ausgebreitet und umständlich wieder in den Rucksack versorgt - in den meisten Köpfen geistern die selben Fragen herum: Wer geht morgen die Kante, wer die Cassin? Und welche Seilschaft wird möglicherweise alle nachfolgenden mit ihrer Unerfahrenheit aufhalten? Wir versuchen trotz angespannter Atmosphäre die Sonne zu geniessen und gehen nach dem Abendessen bald ins Bett.
Um 4:30 gibt es Frühstück und wir drücken ein paar Brotschreiben runter, während andere schon gestartet sind. Kurz vor 5 machen auch wir uns auf den Weg und gehen im Stirnlampenlicht zügig über die rauen, griffigen Granitplatten und Blöcke. Es ist so warm, dass ich sogar nur mit dem T-shirt bekleidet schwitze - dabei hatte ich befürchtet, wir würden in Daunenjacken klettern... Der Weg ist relativ leicht zu finden, wir kommen gut voran und überholen ein paar Leute die biwakiert haben - ausserdem vier Briten, die im steilen Schlussteil schon ziemlich keuchen und fluchen. Als wir zum Sattel kommen, wo sich drei Seilschaften zum Abseilen bereitmachen, ist es hell geworden. Weit oben befindet eine Seilschaft, welche schon im Dunkeln losgekettet ist, beim Einstieg stehen ein tschechisches Team und zwei Tiroler, die uns beim Aufstieg überholt haben. Auch die beiden italienischen Seilschaften seilen knapp vor uns ab - dann sind wir dran. Der Zustieg nach der Abseilstelle gestaltet sich problemlos. Nach einigen Metern II-er Gelände stemmt man sich zwischen Fels und einem grossen, von der Wand abstehenden Schneefeld hindurch und klettert dann zum Einstieg.
Hier ist erstmals Warten angesagt. Wir seilen uns an und wechseln auf (sehr bequeme) Kletterfinken, während die Seilschaften vor uns durch zwei verschiedene Couloirs in die Route einsteigen. Dann geht es auch für uns los. Einfach, aber etwas mühsam da der grosse Rucksack ständig klemmt klettern wir hinauf zum ersten Stand. Hier wählen wir die Rebuffat-Verschneidung, weil bei der Variante links (Originaleinstieg) mehr Leute anstehen. Ich bin ob der vielen Leute recht gestresst und wünsche mich an die einsame Cima Sondrio zurück. Die super schöne und sehr entspannte Piazkletterei in der ersten Seillänge mit dem schönen Riss und viel Reibung für die Füsse lenken mich aber ab.
Nun kommt leichteres Gelände. Ich klettere los, lege ab und zu einen Cam bis das Seil gestreckt ist, dann steigen wir simultan weiter, bis sich die bisher parallel verlaufende Routenvarianten vereinen. Als ich zu der Stelle komme, wo Standplatz gemacht wird, sind dort schon drei Leute - ich finde aber auch für meine Schlinge noch einen Zacken und werde zumindest von den beiden älteren Italienern warm aufgenommen (vielleicht, weil ich heute die einzige Frau in der Wand bin?). Nun ist Warten angesagt. Der tschechische Vorsteiger ist am nächsten Stand, aber zieht aus unerfindlichen Gründen das Seil nicht ein - so kann der Nachsteiger natürlich nicht nachsteigen (das wiederholt sich dann an jedem Standplatz...). Immerhin ist es warm. Die Sonne erreicht jetzt, kurz vor 8 Uhr schon die Wand und ich klettere von nun an alles im T-shirt. Luxus! Da muss man eben damit rechnen, dass noch andere Leute davon profitieren wollen.
Es geht weiter. Nach zwei etwas kniffligeren Seillängen kommt wieder leichteres Gelände (wenn auch im Topo mit 5a angeben) das wir am gestreckten Seil simultan klettern und so die langsamere der italienischen Seilschaften überholen können. Dann heisst es wieder lange warten. Unterdessen sind wir aber schon beim Cengia Mediana angekommen, also etwa in der Hälfte der Route, und es ist noch nicht mal halb 11. Als ich merke, dass wir trotz viel Stau gut in der Zeit sind, entspanne ich mich etwas. Die Kletterei ist nämlich auf fast allen Längen wirklich exzellent - so schön habe ich mir das nicht vorgestellt. Nur schade, werden die wenigen Minuten klettern immer durch lange Warterei unterbrochen. Zum Glück habe ich ein paar alte Kletterlatschen gewählt, die selbst mit dicken Bergsocken bequem sind (während sich einige Mitkletterer in minutenlangem Kampf und mit schmerzverzogenem Gesicht an jedem Standplatz wieder in ihre engen Solutions oder Miuras zwängen (autsch!!)).
Es folgt die nominell schwierigste Länge. Wir und die schnelleren Italiener - zwei sehr sympathische Bergführer Mitte 50 - haben genug vom langsamen Tempo. Während die Italiener sich eine Variante rechts der Route suchen, überholen wir die Tschechen in einem 3-Seillängen dauernden Manöver, was natürlich bedeutet, dass man sich ständig auf den Fersen ist, Seile sich kreuzen und man durch die schönen Stellen einfach nur durchhetzt - eigentlich gar nicht mein Stil, aber hier notwendig. Fairerweise muss man sagen, dass die tschechische Seilschaft nicht extrem langsam ist (hätte ich alles vorsteigen müssen, wäre ich wohl auch nicht schneller gewesen). Wir anderen sind aber einfach deutlich zügiger und wollen halt aufs Znacht bei der Hütte sein - ausserdem halte ich mich lieber oberhalb von Leuten auf, die an der Sturzgrenze klettern und mit dem Seilhandling am Limit sind.
Nun haben wir freie Fahrt da die Italiener schnell voran kommen. Sie lassen uns dann auch vorbei, weil sie auf ihre etwas langsameren Kollegen warten wollen. Wir kommen nun zu den Ausstiegskaminen, wovon vor allem die erste, alpine Seillänge den modernen Sportkletterer ordentlich fordert. Im Nachstieg kann ich mich relativ bequem (wenn doch etwas unheimlich, da auch im Nachstieg ein Sturz sehr schmerzhaft wäre) mit den Füssen stemmend hinauf arbeiten. Für den Vorsteiger braucht diese Technik aber sehr viel Selbstvertrauen, da die meisten Möglichkeiten, Sicherungen zu legen so nicht erreichbar sind, weil sie auf dem Grund des Kamins liegen. So quetschen und würmeln sich die meisten Vorsteiger hier anstrengend und mühsam mit Ganzkörper/Rucksack-Felskontakt hinauf. Dass es auch im Vorstieg anders geht, zeigt der Italiener hinter mir, der zudem auch noch entspannt genug ist um für meine Bilder zu posieren und Faxen zu machen... Diese Seillänge war ursprünglich mit III bewertet, was eindrücklich das Können der damaligen Bergsteiger demonstriert.
Es folgen zwei weitere Seillängen im Kamin, nun aber in sehr schöner Kletterei an Rissen und Schuppen - wirklich der Hammer! Nach einer Rechtstraverse über eine mit filigranen Einschlüssen versehene Platte sind wir noch zwei Seillängen von der Kante entfernt. Hier beginnen wir, simultan zu klettern; und weil wir noch viel Energie haben, fliegen wir förmlich über den Fels - das macht Spass! Auf der Kante ist natürlich viel Verkehr, aber Überholen geht hier problemlos, weil die Kletterei leicht (aber schön!) ist und der Routenverlauf nicht sehr definiert. An vielen etwas verdutzen Gesichtern vorbei erreichen wir so kurz vor 14:00 Uhr den Gipfel. Ich kann irgendwie nicht ganz verstehen, wie wir trotz der Warterei so schnell sein konnten - andererseits liegt die Route total in unserem Komfortbereich, und durch Simultanklettern spart man halt schon enorm Zeit.
Nach einer gut halbstündigen Rast machen wir uns an den Abstieg, erst über schuttige Wegspuren, dann über Felsen abkletternd. Die ersten paar Abseilstellen lassen wir aus, dann aber wird es schwieriger und Abseilen erscheint uns schneller (die letze Abseilstelle ist sowieso zwingend, da überhängend). Dazu tun wir uns mit den beiden Tirolern zusammen, die vor uns gestartet sind und auf der Kante pausiert haben. So kommen wir effizient voran und erreichen bald die Geröllhalde, und über diese um viertel nach vier die Gianettihütte. Hier geniessen wir Bier und Kuchen in der Sonne und freuen uns schon auf das feine Nachtessen. Während die beiden Tiroler noch nach Hause müssen, wollen wir nämlich hier übernachten und am anderen Tag noch eine Route klettern, bevor dann der Rückweg über die Pässe Porcelizzo und Trubinasca ansteht.