Mit Eva 02/10/21
Als sich für Freitag/Samstag das letzte Schönwetterfenster vor einem grösseren Schneefall abzeichnet, beschliessen Eva und ich spontan, dieses noch für eine Nordwandtour zu nutzen. Die aktuellen Verhältnisse in den Wänden sind nicht leicht einzuschätzen. Schliesslich fällt die Wahl auf die Gran Paradiso Nordwand, von der wir zumindest wissen, dass sie vor nicht allzu langer Zeit bestiegen worden war. Nach einer etwas längeren Anreise ins Aostatal wandern wir auf dem gemütlichen und praktisch stufenlosen Hüttenweg in etwa 2 h zum Rifugio Federico Chabod.
Das Rifugio ist nicht mehr bewartet, weshalb wir in der knapp 100 m entfernt liegenden Winterhütte unterkommen. Diese ist mit Holzofen, Gasherd und 2 separaten Schlafräumen sehr luxuriös und geräumig, so spielt es auch keine Rolle, dass wir sie mit 9 weiteren Bergsteigern teilen müssen. Zwei junge Franzosen wollen wie wir die Nordwand angehen, die restlichen Tourengänger haben vor, über den Normalweg aufzusteigen. Von der Hütte kann man die Nordwand gut einsehen, und in einem wolkenfreien Moment halten wir nach dem sichersten Wegverlauf über den Bergschrund und den doch recht zerklüfteten Glacier de Lavecia Ausschau. Nach Wasser holen am etwas tiefer gelegenen Bach, kochen und Nachtessen gehen wir früh ins Bett, wo ich versuche, etwas verpassten Schlaf nachzuholen.
Um 4:30 stehen wir auf, frühstücken und gehen um 5:00 bei stockdickem Nebel los, der sich dann aber zum Glück schnell lichtet. Erst auf gutem Weg, dann über Geröll erreichen wir nach etwa 1h den Gletscher, wo wir uns anseilen und ich einen meiner Stöcke deponiere (der dann beim Abstieg leider nicht mehr da ist... Wer ihn findet oder in guter Absicht mitgenommen hat, bitte melden (Black Diamond Distance Carbon Z)). Erst können wir einer gut angelegten, frischen Spur dem Normalweg folgen. Auf 3333 m, direkt unter dem westlichsten Felsausläufer, zweigen wir dann Richtung Nordwand ab. Hier können wir noch alte Spuren erahnen, der Abzweiger ergibt sich aber auch auch aufgrund des Geländes intuitiv. Unterdessen haben wir die eine halbe Stunde vor uns gestarteten Franzosen eingeholt und folgen ihnen durchs Spaltenlabyrinth, welches wir einmal kurz über ein Felsband umgehen, um eine schon arg filigran gewordene Schneebrücke zu vermeiden.
Die Kletterstelle auf das Felsband ist nicht besonders schwierig, aber griffarm und wegen viel losen Kies etwas unangenehm. Zurück auf dem Gletscher geht es geschmeidiger weiter und wir treffen wieder auf die Jungs, die sich für die Wand umrüsten und sich fürsorglich erkundigen, ob wir denn die Kletterstelle auch gut geschafft hätten. Nett, aber irgendwie werde ich den Verdacht nicht los, dass sie uns einfach vorausschicken wollen, um den besten Weg über den Bergschrund zu finden... So gehen wir weiter, immer noch mit nur einem Pickel in der Hand, mit dem in der anderen die Spalten sondierend. Der Schnee ist hier plötzlich tief, windgepresst und anstrengend zu spuren und ich komme im steilen Gelände ordentlich ins schwitzen. Als es vor dem Bergschrund dann endgültig in die Wand geht, wechseln auch wir auf 2 Eisgeräte und hängen die Schrauben an den Gurt.
Die Jungs holen uns wieder ein und warten hinter uns, aber als Eva sie mit der Bemerkung, sie müsse pinkeln, vorbei schickt, übernehmen sie die Führung und kommen auch etwas schneller voran als wir. Um 7:30 geht es dann los mit der eigentlichen Wand. Der Bergschrund stellt sich zum Glück als fast geschlossen heraus und lässt sich mit einer Schraube im Eis gut absichern. Die etwas steilere Stufe danach ist aber wegen dem unerwartet spröden Eis nicht so einfach und ich bin froh, dass Eva nun vorausgeht (auch wenn beim simultan gehen natürlich niemand ausrutschen darf).
Anschliessend wird das Gelände etwas weniger steil und das Eis griffig, ab und zu ist auch die Schneeauflage dick genug, um darin hinauf stapfen zu können. Da dies aber stets ändert, muss jeder Schritt und jeder Schlag konzentriert ausgeführt werden. Wir gehen weiterhin simultan mit stets mindestens 2, dort wo das Eis schwieriger ist auch mal 3 Eisschrauben zwischen uns am auf ca. 30 m verkürzten Seil. Unterdessen ist der Nebel wieder dichter geworden und ich ziehe mir fröstelnd eine Daunenjacke über und schlage die vor Kälte tauben Hände zusammen.
Nach etwa der Hälfte der Route klart es plötzlich auf, dafür nimmt der Wind zu. Das Eis wird stets spröder, ab und zu kommen Schnee- und Eisstücke von oben heruntergeschossen, die Waden beginnen zu brennen und ich fühle mich allmählich müde im Kopf. Auch wenn keine Stelle wirklich schwer war, so erfordern die heutigen Verhältnisse doch absolute Konzentration; zudem waren ein paar schlafarme Nächten vorausgegangen. Ganz zum Schluss wechselnd wir denn auch auf Standplatzsicherung. Gerade die letzten Meter im Eis finde ich anspruchsvoll und bin froh, das Eva mich nachsichert.
Zuletzt können wir nach links ins gemischte und einfache Gelände ausweichen und ich freue mich über die ersten Sonnenstrahlen des Tages während ich Eva nachhole. Von hier sieht man auch schon den Gipfel mit der weissen Madonna. Der Weg dorthin führt über einen schön geschwungenden Grat, welcher allerdings stark verwächtet ist, weshalb wir die Wand in wir die eisigen Flanke queren.
Es folgt leichte Kraxelei, die an einer Stelle etwas exponiert ist (Bohrhaken zum sichern/abseilen vorhanden). Schliesslich steigen wir über Metallbügel auf den Gipfel zur Madonna, welche wir um etwa 13:00 Uhr erreichen. Aufgrund der Verhältnisse im Zustieg und in der Wand haben wir etwas länger gebraucht als erwartet, was aber überhaupt kein Problem darstellt, denn die Sicht ist weiterhin gut und die Tageserwärmung erst recht kein Thema. Im Gegenteil, auch mit zwei Daunenjacken und 3 weiteren Schichten fröstle ich sogar im einigermassen windgeschützten Plätzchen am Fuss des Gipfelturms und wir machen nicht allzu lange Rast.
Im Abstieg folgen wir dankbar der gut angelegten und ausgetretenen Spur über den Normalweg, die Spalten sind doch beträchtlich und teilweise gut verborgen. Bei schlechter Sicht und ohne Spur ein Horror... Am Ende des Gletscher treffen wir auf die Vierergruppe, die ebenfalls auf der Hütte übernachtet hat und tauschen uns aus. Diesmal finden wir nicht den besten Weg durch das Geröll, aber kurz vor 16:00 Uhr kommen wir schiesslich zur Hütte, wo wir die deponierten Sachen zusammenpacken und ins Tal hinab steigen. Etwas müde aber sehr zufrieden machen wir uns auf die Heimreise und sind uns einig - das schreit nach Wiederholung :-).
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