Mit Armin, Holmger, Jonas
Die Abfahrt durch das Vallée Blanche steht schon lange auf unserer Wunschliste, wir möchten es aber mit einer Skitour verbinden und zudem nicht frühmorgens mit den ganzen Menschenmassen starten und über harte und rumplige Pisten abfahren. So beschliessen wir, die Abfahrt in einer Zweitagestour mit dem Übergang über die Brèche Puiseux zu kombinieren.
Tag 1: Abfahrt zum Refuge du Requin: Nach einigen Schlechtwetterwochenenden kommt endlich die Gelegenheit, und wir reisen nach Chamonix, wo wir kurz vor 13:00 in die Gondel zur Aiguille du Midi (3842 m) steigen. Oben angekommen, geniessen wir die Aussicht und rüsten uns für den Fussabstieg über den Grat, der im Winter durch die Installation von Geländern – dem sogenannten Z – deutlich weniger exponiert ist als im Sommer.
Beim Sattel angekommen schnallen wir die Ski an. Mein Blick schweift auf all die Gipfel und Touren, die ich hier schon gemacht habe: Grandes Jorasses, Dent du Géant, Teufelsgrat, Grand Capucin, Mont Maudit, Mont Blanc, ... Natürlich werfe ich auch einen Blick hinunter zum Ausstieg des Frendopfeilers – eine meiner schönsten Touren überhaupt.
Für die Abfahrt stehen uns diverse Möglichkeiten zur Auswahl, wir entscheiden uns für das "Vallée Blanche Classique", da uns dies die vielseitigsten Perspektiven auf die Berge erlaubt. Der Schnee ist leicht zu fahren, es ist sonnig und windstill und so warm, dass man fast froh ist um den Fahrtwind. Was für einer tolle Art und Weise, diese weitläufige, spektakuläre Berglandschaft zu erfassen!
Flache Abschnitte wechseln sich mit steileren, buckelpistenartigen Hängen ab. Auch wenn hier ein Pistenfeeling aufkommt, sollte man sich stets vergegenwärtigen, dass man sich auf einem Gletscher befindet. Direkt neben den Spuren klaffen oftmals tiefe Spalten und Löcher – es gilt, immer auf Sicht zu fahren und jederzeit anhalten zu können. Tatsächlich ereignet sich an diesem Tag im Vallée Blanche ein tödlicher Spaltensturz. An diversen Stellen ist unter Seracs oder oberhalb von Felswänden zu traversieren oder über schmale Brücken zu fahren. Kenntnisse der hochalpinen Gefahren sowie eine solide Abfahrtstechnik sind demnach ein Muss.
Ohne Gegensteigung erreichen wir das Refuge du Requin (2516 m), wo wir den restlichen Nachmittag bei Bier in der Sonne geniessen. Den Skiaufstieg zur Brèche Puiseux kann man von hier super einsehen, das eigentliche Couloir bleibt aber verborgen. Nach dem Nachtessen und zwei Runden Uno legen wir uns in der komplett ausgebuchten Hütte ins Bett.
Tag 2: Brèche Puiseux und Abfahrt zum Mer de Glace
Um 6:00 Uhr gibt es Frühstück und kurz nach 7:00 Uhr machen wir uns auf die Abfahrt zum Salle à Manger, der aufgrund des Gletscherschwundes unterdessen 200 Höhenmeter tiefer liegt als das Refuge du Requin. Die meisten Hüttenübernachtenden haben das selbe Ziel wie wir, und um der Hektik zu entgehen, machen wir uns als eine der letzten Seilschaften auf den Weg. Die Abfahrt ist aufgrund der pickelharten und vom Vortag zerpflügten Schneeunterlage anstrengend, das Gelände ist steil und teilweise abschüssig. Definitiv mehr Pflicht als Vergnügen.
Teilweise steil und mit vielen Spitzkehren aber mit Harscheisen problemlos geht es anschliessend über den Glacier des Périades aufwärts. Trotz gemütlichem Tempo gewinnen wir rasch an Höhe. Es ist frisch, aber meist windstill und dank vielen Lagen ist mir angenehm warm.
Nach gut 800 Höhenmetern erreichen wir den Fuss des Couloirs, wo wir Steigeisen montieren, Ski aufbinden und uns für den steilen Fussaufstieg stärken.
Heute ist ausserordentlich viel Betrieb – sowohl vor als auch hinter uns. Wir reihen uns ein und stapfen ruhig aber kontinuierlich hoch. Der Aufstieg ist unschwierig, die Stufen jedoch teilweise sehr gross und der Schnee nur oberflächlich verfirnt, so dass man ab und zu einsinkt. Zuletzt geht es über ein paar Felsen, dann stehen wir an der engen und schmalen Gratkerbe – zusammen mit etwa zwölf weiteren Leuten ... Es sind zwar zwei neue Abseilstellen vorhanden, doch wie es scheint hat die Mehrheit der Leute hier in ganzen ihrem Leben noch abgeseilt und so gibt es ordentlich Stau. Zumindest von den Gruppenleitern könnte man doch erwarten, dass sie das Abseilen am Vortag mit dem Team üben. Naja, immerhin ist es trotz Schatten und etwas Wind nicht allzu kalt. Es gäbe zwar noch zusätzliche Abseilstellen beim Biwak, dazu müsste man aber zuerst recht exponiert über den Grat klettern (und dabei an all den Leuten vorbei kommen...) – zudem wissen wir nichts über die Länge dieser Abseilstrecken.
Schliesslich sind wir dran und seilen mit unseren beiden 30 m Seilen zweimal ab. Zwischenstand beziehen wir an einem (hoffentlich gut eingefrorenen) Felsblock mi Schlinge. Bei der von oben her gesehene rechten Abseilpiste gäbe es eine gebohrten Zwischenstand, aber den wollen bzw. können wir nicht benutzen, da diese Piste belegt ist. Mit zwei 50 m Seilen würde man in einem Manöver runter kommen.
Unten kommen wir endlich in die Sonne und gönnen uns eine gute Pause. Wir blicken dabei auf die Grandes Jorasses Nordwand, die von hier gar nicht so gross und abweisend aussehen. Schliesslich machen wir uns auf die Abfahrt über den Glacier du Mont Mallet. Der Schnee wechselt zwischen leicht angekrustetem Sulz und Pulver, das Gelände ist mal mehr und mal weniger steil, es geht über breite Hänge und schmale Durchschlupfe. Wie toll!
Wir fahren auf den Glacier de Leschaux ab, wo das Gelände zunehmend flacher wird, aber noch genügend steil ist, damit wir ohne anzuschieben vorwärts kommen. Wie auf einem Förderband fressen wir Kilometer und saugen das Panorama auf. Schliesslich erreichen wir das Mer de Glace und somit den Zusammenschluss mit der Vallée-Blanche-Route. Hier müssen wir einigen Steinen und Tümpeln ausweichen, kommen aber mit nur einer kurzen Tragepassage zum erst seit Februar 2024 existierenden Sessellift, der uns zur Montenversbahn hinauftransportiert. Wie gut, müssen wir diese Höhenmetern nun nicht mehr wie früher via Klettersteig zurücklegen!
Bei der Bahn herrscht Rushhour und wir müssen uns etwas gedulden, schliesslich können aber auch wir einsteigen und nach Chamonix fahren. Hier gibt es ein wohlverdientes Bier und später in Argentière ein ordentliches Znacht, bevor es dann müde aber zufrieden nach Hause geht.
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